Aus hartem Holz. Roman.
Annie Proulx, Luchterhand Literaturverlag, 27. März 2017

Aus hartem Holz

Verdammte Axt

Wenn wir Brandrodungen in den südamerikanischen oder asiatischen Tropenwäldern beklagen oder eine Kiste Pils kaufen, um immerhin einen Quadratmeter davon vermeintlich zu retten, während wir uns die Hirnkugel zulöten, tun wir so, als wären diese Wälder auch schon historisch die einzigen von Bedeutung - seit jeher die "grüne Lunge" des Planeten also. Doch das stimmt nicht. Tatsächlich gab es bis vor wenigen Jahrhunderten gewaltige(re) Waldflächen auch anderswo, beispielsweise in Europa und Nordamerika. Die Regenwälder sind lediglich das, was an nennenswerten größeren Waldgebieten übriggeblieben ist.

Der neueste Roman der "Schiffsmeldungen"- und "Brokeback Mountain"-Autorin beginnt im frühen siebzehnten Jahrhundert in einer Region, die damals "Neufrankreich" hieß - und heute "Kanada" genannt wird. Seinerzeit fielen dort die ersten Siedler und Kolonisten ein, und sie entdeckten riesige, tierreiche Kiefernwälder, bequemerweise durchzogen von mächtigen, fischreichen Flüssen, die den Abtransport des Holzes, die so genannte Trift, dramatisch erleichterten. Und die Siedler begannen damit, die Wälder abzuholzen, wenn sie nicht gerade massenweise Biber, Elche, Karibus, Bären und andere Pelzträger meuchelten oder die Flüsse leerangelten. Das Holz wurde nach Europa transportiert und dort vor allem zu Kriegsschiffen verarbeitet. Krieg fand man damals so schick, dass man ihn nahezu pausenlos führte.
Dass es in der nordamerikanischen Region bereits Einwohner gab, darunter die Mi'kmaq, ein indigenes Volk, das in behutsamem Einklang mit der Natur lebte, störte oder interessierte keinen. Im Hinterland der Kolonie herrschten ohnehin Korruption und Gesetzlosigkeit. Wer umgebracht wurde, war eben tot, und nach Mördern fahndete niemand. Außerdem starben viele Siedler sowieso, im Frost des strengen kanadischen Winters - oder einfach, weil sie von einem umfallenden Baum erschlagen wurden, verhungerten, an einer zunächst leichten Infektion verendeten und so weiter und so fort. Harte Zeiten waren das, damals. Vorsichtig gesagt. Hart wie Holz.

Die Geschichte erzählt anfangs von zwei Einwanderern, die einem Farmer als Hilfskräfte zugewiesen werden, für drei Jahre. Nach dieser Verpflichtung sollen sie ihr eigenes Land erhalten. Aber der eine namens Charles Duquet macht sich rasch vom Acker, um sein Glück mit der Pelztierjagd zu versuchen, während der andere - René Sel - bleibt und bald mit einer älteren Mi'kmaq-Indianerin zwangsverheiratet wird, mit der eigentlich der Farmer ein Verhältnis hat, dessen reiche neue Frau nicht so ganz glücklich ob dieses Umstandes ist. Im Ergebnis entstehen zwei Familien oder, wenn man so will, Dynastien. Die Geschichten dieser Familien stehen im Kern der folgenden Erzählung, die erst in der Jetztzeit endet, also fast 400 Jahre nach ihrem Beginn.

Man erfährt in diesem Buch viel über Holz und Forstwirtschaft, wobei dieser Begriff nicht ganz richtig ist, denn bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit befassten sich Holzverarbeiter vor allem damit, möglichst große Wälder möglichst schnell und restlos umzuhauen. Bodenerosion, Wiederaufforstung, Tierbestände oder gar die Interessen der indigenen Bevölkerung interessierten niemanden. Was übrig blieb, waren pflanzenlose, stinkende, qualmende Flächen, auf Jahrzehnte ohne jede Chance auf neues Grün, während sich die Schneise der Verwüstung immer stärker verbreiterte, tief ins Land hineinreichte, Tierarten und einheimische Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubte.
Doch es geht nicht nur um Holz in diesem Buch. Es geht um eine Welt der großen Entfernungen, der Gier und Gesetzlosigkeit, aber auch des Aufbruchs und der Neuentdeckungen. Annie Proulx vermittelt ein ungeheures Wissen nicht nur über nordamerikanische Wälder, sondern auch und vor allem über soziale, wirtschaftliche und kulturelle Umstände. Das reichhaltige Personal dieses Klotzes von einem Buch reflektiert alle Facetten des Menschseins, allen voran allerdings des Egoismus'. Zu den Opfern dieser wahnsinnigen Selbstsucht gehören unter anderen die Mi'kmaq, deren Erosion vom friedlichen, naturverbundenen Volk zu einem kleinen, nur noch geduldeten, dahinvegetierenden Grüppchen eines der zentralen Themen des Romans darstellt.

Und das ist dann auch das Problem. "Aus hartem Holz" ist als historische Erzählung absolut faszinierend, als Roman um handelnde Figuren aber leider nur zweite Wahl. Proulx vermittelt ungeheuer anschaulich, was die Menschen mit der Natur und auch ihren Artgenossen veranstaltet haben, um ein paar Goldstückchen mehr in der Tasche zu haben, aber über vierhundert Jahre hinweg lassen sich Figuren wie der hinreißende David Quoyle aus "Schiffsmeldungen" natürlich nicht aufbauen und durchhalten. Die episodenhaft erzählen, sich schnell abwechselnden Einzelschicksale bleiben deshalb ein wenig farblos - was durchaus im Interesse der Autorin liegen mag: Am Ende spielt es keine Rolle, ob Menschen oder noch mehr Bäume umgehauen werden. Wie beim Bäumefällen kommt der Tod auch für die Figuren dieser Geschichte rasch und gnadenlos, beendet die Kapitel wie ein mächtiger Axthieb.

Annie Proulx' neues Werk ist ein wissensreicher, stilsicherer, kluger und sehr interessanter Roman, der auch nicht kürzer sein dürfte, obwohl sich mit der Lesezeit eine gewisse Ermüdung einstellt - das ist kein Widerspruch. Der Anspruch, die Geschichte auch vollständig zu erzählen, hätte ohne diese Länge(n) nicht erfüllt werden können, und es war eben - leider - auch noch nötig, davon zu berichten, wie der Duquet-Klan seine Fühler nach Neuseeland ausstreckte, um dort die jahrhundertealten Kauribäume zu fällen. Die Botschaft ist eindringlich, denn die Geschichte ist ja längst nicht zu ende. Und an das rasch wechselnde Personal muss man sich einfach gewöhnen. Bleibt ein auf eigentümliche Art schönes Herbstbuch, bei dessen Lektüre man wirklich etwas lernen kann.

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pfeil Übersicht: Tom Liehr

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